Hello, Dolly!

Musical von Jerry Herman

»Die MuKo ist um eine Spielplanattraktion reicher« Leipziger Volkszeitung

»Zu Recht stehende Ovationen« Leipziger Almanach

Glamour und Grandezza

Hello,Dolly! feiert in der MuKo stürmisch umjubelte Premiere  

Eine Ausstattungs-Revue macht Link aus Hermans Thornton-Wilder-Reflex. Und das ist das Beste, was er machen kann. Denn erstens will es das Publikum in der wieder ausverkauften MuKo so, und zweitens bietet das in den 60ern schon leicht angestaubte Musical wenig Ansatzpunkte zur Weltendeutung. Also lässt Link seinen Ideen freien Lauf und hat, sind die Dialogwüsten des ersten Aktes erst einmal durchquert, die Lacher sicher und zahlreich auf seiner Seite. Ironisch spielt er mit dem Genre, vor allem seinen Auswirkungen aufs Kino. Voll ist die Bühne meist, und keinem der zahlreichen Akteure gönnt der Regisseur auch nur ein Weilchen Ruhe. Spätestens wenn im zweiten Akt Choreograph Mirko Mahr mit anarchischer Rasanz sein akrobatisches Slapstick-Kellner-Ballett im Separée-Labyrinth Olga von Wahls in die Endlosschleife schickt, hat „Hello,Dolly!“ Fahrt aufgenommen, und das zunehmend ausgelassene Publikum ist reif für den Titel-Ohrwurm. Den wenigstens gibt’s im englischen Original, und Marianne Larsen gibt Dolly Levi, die liebenswürdige Nachtclub-Sünderin von einst, mit Glamour und Grandezza.

In Karl Zugowski als hartem Knochen auf dem Läuterungsberg der Liebe und des Wohllebens hat Larsen einen wunderbaren Partner. […] Corinna Ellwanger steuert als Irene Molly das zarte Gefühl bei. Die Sängerin ist noch an der Hochschule für Musik und Theater eingeschrieben, aber singend wie spielend eine der Hauptattraktionen der Veranstaltung. Als Minnie Fay glänzt die zauberhafte Mirjam Neururer mit mädchenhafter Beweglichkeit in Spiel und Gesang. Und die verruchte Ernestine Money mit Martin B. Berger als Transe zu zeichnen, ist ein geschickter Schachzug.

Im Graben macht Musikdirektor Stefan Diederich ein gewaltiges Fass auf. Unwiderstehlich walzen und twisten und foxen die Tänze. Doch obwohl das Blech dem Affen ordentlich Zucker gibt und auch die Rhythmusgruppe nicht zur Verzärtelung neigt, bleibt doch immer noch genug Raum für die überraschende Mittelstimmen-Erotik Hermans. Fabelhaft: der von Mathias Drechsler präparierte Chor, den Link so gnadenlos übers Parkett scheucht, dass die Grenzen zum Ballett zu fließen beginnen […] die MuKo ist um eine Spielplan-Attraktion reicher.

Peter Korfmacher, Leipziger Volkszeitung

 

 

Ein Hauch vom Broadway in L.E. – "Hello, Dolly!" in der MuKo

 

Die Befürchtung, dass der Zahn der Zeit auch an diesem mittlerweile altehrwürdig gewordenen Musical nagen könnte, bleibt zumindest bei dieser Inszenierung völlig unbegründet. Es ist geradezu erstaunlich und völlig überraschend, was man alles aus einem solchen Evergreen herauskitzeln kann, wenn man die richtigen Leute engagiert und es versteht, das Zeitlose zeitgemäß zu sagen.

Und das ist in Leipzig zweifellos geschehen. Denn hier ist es vorzüglich gelungen, "Hello, Dolly!" als ein munteres und quicklebendiges Stück beeindruckendes Musiktheater aufzufassen. Das bedeutete vor allem, dieses Musical als Genrekomödie zu inszenieren – als pointenreiches, dialogisierendes Sprechtheater mit Gesangseinlagen, Ballett, Chören usw., die sich seit dem 18. Jahrhundert als unverzichtbare Bestandteile des Schauspiels herausgebildet haben. In puncto Sprechtheater wurde in dieser Inszenierung wirklich ausgezeichnet gearbeitet: Die Pointen sitzen nicht nur sicher, sie gehen größtenteils wie bruchlose Rechnungen auf und wirken überwiegend so pfiffig, als seien sie erst gestern erfunden worden. Die Dialoge sprühen vor Einfallsreichtum und Witz und haben hier den wünschenswerten Drive, weil sie mit gekonnter Genauigkeit und gestrafft vorgetragen und inszeniert worden sind und weil sie wirklich komisch sind. Mit Hilfe von Mathematik, gut ausgeklügelter Choreografie und dem nötigen Quantum an scheinbar spielerischer Leichtigkeit gelingt es den Ausführenden an diesem Abend, das Publikum aufs Beste zu unterhalten. Die gewitzten und federleichten Sprechpassagen haben nicht den leisesten Anflug des Gequälten, Angestrengten oder gar Langweiligen, das an dem hölzernen Konversationston von so mancher Operette inzwischen als verstaubt oder störend empfunden wird.

So avanciert diese "Hello, Dolly" insbesondere zu einem beeindruckenden Beispiel für zungenfertiges und bewegungsfreudiges Boulevardtheater mit großem Unterhaltungswert. Aber so richtig rund kann die Sache erst werden, weil das Ineinandergreifen von Kay Links durchweg origineller, professioneller und sachkundiger Regie mit dem einfallsreichen Bühnenbild von Olga von Wahl und den farbenfrohen Kostümen von Tobias Sieben hier im Zusammenklang mit Schauspiel, Gesang, Ballett, Chor und Orchester unter der Leitung des sichtlich begeisterten Stefan Diederich fast idealtypisch funktioniert. Jeder sorgt in seinem Bereich dafür, das Ganze zu einem Gesamtkunstwerk der gelungenen Unterhaltung zu machen. Der Zuschauer spürt in jeder Minute, dass in dieser Inszenierung gut und präzise gearbeitet wurde. Das erfolgreiche Bemühen um darstellerische Perfektion ist dem präsentierten Ergebnis anzumerken.

Regisseur Link verlegt das Stück in die wilden sechziger Jahre, verpackt es ansprechend mit Accessoires, Kleidungsstücken und Details aus diesem Jahrzehnt. Er arbeitet mit Anspielungen auf Angela Davis, auf die Hippie-Bewegung der Protestgeneration, dem Schrei nach freier Liebe und all den anderen Klischees, die wir heute mit dieser inzwischen historisch gewordenen Zeit verbinden.

Außerdem versteht Link es im Einvernehmen mit der temporeichen Choreografie von Mirko Mahr besonders gut, die großen Revue-Auftritte mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln auf die Verhältnisse der Guckkastenbühne im Dreilindensaal zu übersetzen und zwar immer so, dass der Zuschauer das Gefühl hat, Teil einer großen, mitreißenden Bewegung, einer überwältigenden Aktion zu sein, die gekonnt vorgibt, mehr zu sein als sie tatsächlich ist – die große Illusion des Theaters wird hier spürbar und zieht die Leute unverkennbar in ihren Bann. Besonders gelungen ist überdies auch die Reiseszene nach New York im ersten Teil: Wie sich der Bahnhof in einen Zug, der Zug wieder in einen Bahnhof verwandelt und aus den Waggonteilkulissen kurzerhand – wenn sie umgedreht worden sind – große Reisekoffer werden, das ist Teil des originellen Konzepts, das die Bühne ständig in Bewegung hält und immer wieder neue Einsichten und Einblicke vermittelt. Dieser vorwärtsdrängende Ideenreichtum beweist, wie Bühnenkonzeption und Regie mit viel Phantasie und Originalität aus einer Genreszene mit Versatzstücken einen schwungvollen, energiegeladenen und einprägsamen Höhepunkt der Inszenierung schafft. Mit einem Reigen ähnlich guter Ideen bewegt sich der gesamte Bühnenablauf schließlich zielsicher auf den Höhepunkt zu, ohne dabei in wildem Aktionismus auszuarten. Immer ist das wünschenswerte ausgewogene Mischungsverhältnis von Bewegung und Ruhe gewahrt. Insgesamt ist diese Inszenierung ein wunderbares Beispiel dafür, was alles sich mit einem Musical wie diesem machen lässt, wenn Regie, Bühne, Kostüm und Ausführende an einem Strang ziehen und so gekonnt miteinander korrespondieren. – In dieser Hinsicht könnte die große Schwester vom Augustusplatz [= Haupthaus der Oper Leipzig], noch mancherlei von der Musikalischen Komödie lernen. [...]

Hier liegt eine Regie-, Bühnen- und Choreografiearbeit vor, die alle Möglichkeiten des Ensembles und des Genres zu nutzen verstand. Das sah auch das Publikum so: Kräftiger, nicht enden wollender Jubel und Applaus, sogar stehende Ovationen gab es deshalb am Ende zu Recht für alle Beteiligten. Es bleibt aus diesem Grund nur eins, was man sich und dem Ensemble insbesondere von diesem Inszenierungs-Team wünschen kann: wiederkommen und weitermachen!

Sebastian Schmideler, leipzig-almanach.de

Musikalische Leitung:
Stefan Diederich
Regie und Dialogtexte:
Ausstattung:
Tobias Sieben
Choreinstudierung:
Volker Krafft
Dramaturgie:
Dolly Gallagher Meyer:
Horace Vandergelder:
Folker Herterich/Karl Zugowski
Cornelius Hackl:
Alexander Voigt
Irene Molloy:
Minnie Fay:
Ambrose Kemper:
David Ameln
Ermengarde:
Katja Kriesel
Rudolph, Oberkellner:
Ullrich Graichen
Ernestina Money:
Martin Berger/Margarete Junghans
Ballett der Musikalischen Komödie
Chor und Orchester der Musikalischen Komödie