Der Vetter aus Dingsda

Operette von Eduard Künneke

»Entstaubt. Heutig. Lebendig.
Es lohnt sich!
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»Plädoyer für anspruchsvolle
Unterhaltung« Ostsee-Zeitung

Plädoyer für anspruchsvolle Unterhaltung

Totgesagte leben länger! Das gilt wohl auch für die Kunstform „Operette“, die mit einigen Paradebeispielen die Gratwanderung zwischen Unterhaltungs- und Kunstanspruch bestanden hat. Am Theater Vorpommern ist das mit Eduard Künnekes „Der Vetter aus Dingsda“ zu besichtigen: Kay Link hat es spielerisch flott inszeniert, Marlit Mosler auf praktisch eingerichteter Bühne mit passender Kostümierung ansprechend ausgestattet. Florian Csizmandia sorgt mit spielfreudigen Philharmonikern für eine Musik, die als qualitativ hochwertig dem Stück von jeher als existenzsichernd gilt. [...]

Den [Raum] hat man genutzt, um das Profil der Protagonisten wirkungssicher zu schärfen, sie unverkrampft „heutiger“ erscheinen zu lassen und dem Geschehen eine leichte Ironie zu verleihen. [...] Attraktiv anzuschauen, lohnend anzuhören!

Ostsee-Zeitung

 

Entstaubt

Kay Link ist der Regisseur und der hat großen Wert darauf gelegt, die Sache zu entstauben und Menschen von heute zu zeigen. Geradeaus-Typen und so war alles glaubwürdig, nicht überladen […] Sehr lebendig. Frische junge Stimmen. […] Sehr schön, es lohnt sich.
BR Klassik

 

 

Wie aus Hannchen Hannah wurde – Dramaturgin Svenja Gottsmann im Gespräch mit Kay Link

 

Ist Operette heute überhaupt noch zeitgemäß?

Absolut, sie wird gerade erst von einem jüngeren Publikum wiederentdeckt. In Berlin ist Operette gerade bei den jungen Leuten Kult. Ich hoffe das strahlt aus. Außerdem eignet sie sich mit ihrer Mischung aus Dialogen und Gesang wunderbar auch für Musiktheater-Anfänger.

Was ich eben sagte, gilt allerdings auch nur, wenn die Operette ernst genommen und zugleich leichtfüßig und selbstironisch angegangen wird. Nichts ist der Operette fremder als museal zu sein. Sie war immer die offenste Gattung, was neuesteTrends, technische Errungenschaften oder die modernsten Tänze anging. Die neuesten Rhythmen wurden von ihr sofort absorbiert. Diese Entwicklung – Berlin hatte ja in den 20er Jahren Wien als Operettenmetropole abgelöst – wurde in Deutschland leider durch die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Autoren und Komponisten durch die Nazis und deren unseeligeunselige Veredelungs- und Verharmlosungsstrategie der Operette abgeschnitten. Sie kastrierten die Operette gewissermaßen, nahmen ihr ihren Biss, ihren Sex, ja ihre subversive Kraft. Und das ging in der Nachkriegszeit leider ungebrochen so weiter, deshalb gelten bei vielen Theatergängern die Operetten bis heute als reaktionär. Doch in der Regel liegt das nicht an den Stücken, sondern an deren Rezeption. Erst in der letzten Zeit entdeckt man wieder mehr, was für ein Potential in dieser Gattung steckt, die freilich immer zunächst einmal unterhalten möchte, aber das mit einer Neugier gegenüber allem Fremden, Abweichenden und Skurrilen – Witz im intelligentesten Sinn des Wortes.
Also ja, Operette ist absolut zeitgemäß.

 

Worin liegt für dich die Aktualität des „Vetters“?

Die Liebe auf den ersten Blick und der Traum vom perfekten Partner, romantische Sehnsucht sind immer aktuell, oder? Realitätsflucht und Eskapismus sind ja zeitlose Phänomene, nicht erst seit Erfindung der Soap Opera oder der virtuellen Realität des Internets. Und – um mit Onkel Josse zu sprechen – „wo es was zu erben gibt, da kommen die Kuhbrots immer“. Die Kuhbrots dieser Welt sterben, wie mir scheint, nie aus.

 

Du hast die Textfassung des „Vetters“ entstaubt und modernisiert. Welche Auswirkungen hat das für Figuren und Handlung und nicht zuletzt für die szenische Umsetzung?

Wir spielen, so wie es im Stück steht, in der Gegenwart und verlegen die Handlung nicht etwa in eine entrückte Vergangenheit. Was die Textfassung angeht habe ich eigentlich nur ein paar eher antiquierte Begriffe ausgetauscht, damit die Handlung näher an den heutigen Erfahrungshorizont des Publikums heranrückt, und die Dialoge etwas gestrafft.
Bei den Figuren haben wir einen etwas direkteren, frischen Ton gewählt, das Profil des Personals und ihrer Konstellation etwas geschärft. Vor allem die Frauen im Vetter haben mir es angetan. Das ist kein Hannchen im Diminutiv, sondern eine Hannah, die sehr bodenständig ein schönes Pendant zur verträumten Julia darstellt. Und beide Frauen sind ein gutes und starkes Team mit großer Power, keine naiven Soubrettchen. Sie schnappen sich die Männer, die sie mögen. Und Julia macht auch eine große Entwicklung durch – sie schmeißt Onkel und Tante wirklich raus als sie volljährig wird. Normalerweise geht es im Vetter nach dem Rausschmiss dann einfach so weiter wie zuvor. Der Rauswurf in Nr. 4 („Rein wird gemacht, aus wird gekehrt“) bleibt meist ohne Konsequenzen. Bei uns müssen die Alten wirklich raus aus der Villa, ihnen bleibt nur der Geräteschuppen. Egon ist bei aller Schrulligkeit und Umständlichkeit ein lieber Kerl, kein schmieriger, stotternder Fiesling. Allerdings steht er unter der Knute seines Vaters. Er ist eine Art Kumpel von Julia und Hannah, überhaupt keine erotische Herausforderung. Wir haben die Abwesenheit von Eros bei Egon für uns damit erklärt, dass er lediglich von seinem Vater geschickt wurde, nicht weil er Julia tatsächlich liebt oder wirklich heiraten möchte. Dafür gibt die Musik keinen Hinweis. Julia ist überzeugt, dass Egon viel besser zu ihrem abwesenden Bruder passen würde. Egon antwortet traurig: „Aber der ist ja nicht mehr da…“ Für Egon ist der Schluss des Stückes ("Und was wird jetzt aus mir?" – "Sie, Sie gehen nach Batavia!") keine Strafe, sondern eine echte Befreiung. Weg vom Vater, raus aus der Enge.

 

Was für eine Rolle spielt die Thematik des Fremden in deinem Konzept?

Sie steht im Stück, nicht in meinem Konzept. Es kommen zwei Männer in diesen Mikrokosmos, die im Libretto bis zu Auflösung als Erster und Zweiter Fremder vorgestellt werden. Sie kommen von außen und machen Angst. Bei Josse und Wimpel ist es die Angst, den Zugriff auf Julias Geld zu verlieren, bei den Dienern Hans und Karl die Angst vor Veränderung, bei Julia hat der Fremde erst einmal einen erotischen Reiz und eignet sich zudem, ihren Verwandten eins auszuwischen. Als man einen Mord am verschwundenen Vetter vermutet, wird natürlich sofort der Fremde beschuldigt, der sich – ironischerweise – ausgerechnet als Familienmitglied entpuppt. Wenn das Publikum beim inflationären Auftauchen des Begriffs "Fremder" aktuelle Assoziationen hat, liegt das auf der Hand und war gewiß schon von Künneke und seinen Librettisten beabsichtigt. Ob die Grenze des eigenen Rasengrundstücks oder die einer Stadt oder eines ganzen Landes gegen vermeintliche Eindringlinge verteidigt wird – die Konzeption des Fremden, des Anderen, das für die eigenen Ängste und Defizite herhalten muss, ist dieselbe.

 

Worin liegt deiner Meinung nach der Erfolg des „Vetters“ bis heute begründet?

Naja, wir alle kennen ja diese Typen, die uns in dieser Erbschleicher- und Liebeskomödie begegnen. „Onkel und Tante, ja das sind Verwandte, die man am liebsten nur von hinten sieht“ – wer könnte da bei dem einen oder anderen eigenen Familienzweig nicht zustimmen? Es gibt ein Happy End – und das liegt meiner Meinung nicht darin, dass jedes Töpfchen sein Deckelchen bekommt, sondern dass Ignoranz, Raffgier und Engstirnigkeit in der Personifikation von Josse und Wimpel am Ende buchstäblich dumm dastehen.
Die unglaublich witzigen Liedtexte von Rideamus (Anm. alias Fritz Oliven), der z.B. auch die wunderbaren Texte zu Oscar Straus‘ Die lustigen Nibelungen geschrieben hat und den ich sehr verehre, haben natürlich einen wichtigen Anteil an diesem Erfolg. Und dann ist da zu natürlich die unverwüstliche Musik von Künneke.

 

 

Musikalische Leitung:
Regie:
Ausstattung:
Choreografie:
Tom Böhmer
Joseph "Josse" Kuhbrot:
Wilhelmine "Wimpel" Kuhbrot:
Doris Hädrich-Eichhorn
Erster Fremder:
Zweiter Fremder alias Roderich de Weert:
Egon von Wildenhagen:
Diener Hans:
Bernd Roth
Diener Karl:
Hans Löbnitz